Dieses Quartett hat historische Reife: Die Türme über dem Wolfstor (erste Hälfte 13. Jahrhundert), dem Schelztor (1377 erstmals erwähnt), der Pliensaubrücke (1297 genannt, 1444 wohl neu errichtet) und der Dicke Turm (ab 1527 erbaut) zeugen von verschiedenen Epochen der Esslinger Stadtbefestigung. Die galt in ihren Glanzzeiten mit 28 Toren und rund 50 Türmen als „eine der uneinnehmbarsten Festungen in Schwaben“, wie Christian Ottersbach und Claudius Ziehr in ihrem „Kunsthistorischen Stadtführer“ schreiben. Das denkmalgeschützte Erbe mit neuzeitlichem Leben zu füllen ist aber nicht immer leicht.
So war es ein Glücksfall, dass vor rund 20 Jahren eine Eisdiele ihre Theke in der einstigen Durchfahrt des Schelztorturms aufbaute und seitdem für Leben vor den staufischen Buckelquadern sorgt – wobei die Passage bereits seit 1893 für Ladenzwecke genutzt wurde. Die stadtseitige Fachwerkwand des Turms stammt erst aus dem 19. Jahrhundert, sie lässt die Stadt gerade für 16 000 Euro auffrischen. Früher hatte die Ingenieurvereinigung Vektor ganz oben ihr Domizil, mittlerweile hat die FDP-Gemeinderatsfraktion die IV abgelöst. Der dritte Stock wird vom Verein Sompon Socialservices genutzt, der sich für bildungs-, migrations- und entwicklungspolitische Arbeit engagiert.
Überhaupt lag die Esslinger Stadtbefestigung in den vergangenen Jahren vor allem in Vereinshand. Beispiel Wolfstor: Bis Januar 2019 hatte die Heimatgruppe des Deutschen Böhmerwaldbunds dort ihre Vereinsräume und ein Miniheimatmuseum unterhalten. 25 Jahre lang nutzte sie Esslingens ältesten Turm gemeinsam mit zwei Vereinen aus dem Sudetenland, gemeinsam hatte man renoviert – und musste im Gegenzug nur eine geringe Miete an die Stadt bezahlen. „Wir sind mit schwerem Herzen ausgezogen“, berichtet der Vorsitzende Ulrich Spitzenberger.
Doch nachdem sich die anderen beiden Vereine aufgelöst hatten, war die Miete für den Böhmerwaldbund alleine zu teuer. Mindestens so schwer wogen die 75 Stufen hinauf, die die doch schon etwas betagteren Vereinsmitglieder bewältigen mussten. Seit Oktober 2020 hat das Amt für Wirtschaft den Wolfstorturm angemietet – jetzt verteidigen dynamische junge Macherinnen und Macher den ältesten Zugang in die Kernstadt. Wolfstor und das Haus Küferstraße 46 bilden „die zwei Ankerpunkte der Innovationsmeile Küferstraße“ , drückt es Rathaussprecherin Nicole Amolsch aus.
Der Böhmerwaldbund residiert mittlerweile in der Kurt-Schumacher-Straße, ebenso wie der Fanfarenzug Blau-Weiss Esslingen. Der war wiederum der letzte Mieter im Pliensauturm am nördlichen Ende der Pliensaubrücke. Seit vor rund 20 Jahren die Stahlbetonbrücke über die Bahn abgebrochen und durch den neuen Pliensausteg ersetzt wurde, hängt die einstige Eingangstür des Turms in der Luft. Zudem sind die Strom- und Wasserleitungen gekappt. Teil des damaligen Brücken-Wettbewerbs war auch ein leicht versetzter, baugleicher zweiter Steg, der die noch bestehende Brücke über den Neckar ersetzen sollte. „Das hätte uns wieder eine Plattform vor die Tür gebracht“, erinnert sich Dieter Malli, bis vor zwei Jahren Vorsitzender des Fanfarenzugs. „Doch das war der Stadt zu teuer.“ Ob die Steg-Pläne in Zusammenhang mit dem neuen Neckaruferpark wieder aus der Schublade geholt werden? Tatsache ist, dass auch dieser Teil der Brücke über kurz oder lang saniert werden muss. Doch „für eine Nutzung des Pliensauturms gibt es aktuell keine Konzepte oder Planungen“, heißt es seitens der Stadt.
Der Lions Club Stuttgart-Airport hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder für den vereinsamten Pliensauturm starkgemacht und dafür gesorgt, dass wenigstens seine Uhr wieder die Zeichen der Zeit erkennt. Ob es gelingt, daraus wie beim Dicken Turm eine Bürgerbewegung zu machen, scheint indessen fraglich. Als die Gastronomie in dem Esslinger Wahrzeichen auf der Burg 2011 schließen musste, passierte jahrelang gar nichts. Weil die Stadt kein Geld hatte, um Brandschutzbestimmungen und Sanierungsstau etwas entgegenzusetzen, taten sich engagierte Bürgerinnen und Bürger in der Initiative Turmwächter zusammen und sammelten Spenden. Auch der Burgverein mobilisierte Gelder. Und der Gemeinderat erklärte sich dann dazu bereit, die Spenden zu verdoppeln. So flossen mittlerweile rund eine Million Euro in die historischen Gemäuer. Die neu sanierte Burgstube mit Panoramablick über die Stadt bietet Platz für bis zu 50 Gäste, die Räume können bei der städtischen Gesellschaft Esslingen live gebucht werden, die die städtischen Hallen und Veranstaltungslocations vermietet. Für Sanierung und Umbau des dritten Obergeschosses mit dem malerischen Turmsaal, den dann rund 200 Personen nutzen können, sind noch rund 600 000 Euro nötig.
Historisches Turm-Quartett
Wolfstor Als Erstes wurden im frühen 13. Jahrhundert das Markplatz-Areal und die staufische Stadt ummauert. Das Wolfstor, 1268 erstmals erwähnt, ist Teil dieser Befestigung.
Schelztor Der ausbrechende Gegensatz zwischen Esslingen und Württemberg forcierte den Ausbau der Befestigung. Ab 1287 wurde die historische Pliensauvorstadt ummauert. Dabei handelte es sich nicht um den heutigen Stadtteil, sondern um den Bereich südlich des Wehrneckars, der im 13. Jahrhundert als Erweiterung der Stauferstadt trockengelegt und bebaut wurde. Der Schelztorturm gehörte zu dieser Befestigung. Sein Unterbau könnte noch in die Stauferzeit fallen, die oberen Teile datieren ins späte 13. Jahrhundert.
Pliensauturm Die alte Pliensaubrücke wurde zwischen 1213 und 1286 erbaut und hatte einst drei Türme. Heute ist noch der Pliensauturm erhalten. Der Esslinger Denkmaltopografie zufolge wurde er 1444 aber wohl neu errichtet.
Dicker Turm Die Esslinger Burg auf dem Schönenberg war nie ein Adelssitz, sondern nur eine Befestigungsanlage, die 1314 erstmals urkundlich erwähnt und immer weiter ausgebaut wurde. Der Dicke Turm wurde ab 1527 erbaut. biz
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